Delos

Eine Insel aufgestiegen aus dem Meer, um einer hochschwangeren Frau einen Platz für die Geburt zu gewähren. Eine strahlende Insel, die stärker leuchtet als alle anderen in ihrer Umgebung, absolut passend zum Gott des Lichts, dessen Geburtsstätte sie ist. Eine Insel, deren Bewohner dort weder geboren werden noch sterben oder begraben werden durften. Eine Insel, die Politikgeschichte schrieb. Das alles ist Delos.

Doch fangen wir von Anfang an:

Der Schwerenöter Zeus hatte ein Auge auf die Titanentochter Asteria geworfen und versuchte mit Gewalt, diese zu erobern. In ihrer Not verwandelte sich die junge Frau in eine Wachtel, um Zeus zu entkommen. Doch auch dies hielt ihn nicht davon ab, sie weiter zu bedrängen, und so stürzte sie sich schließlich ins Meer und verwandelte sich in die Insel Ortigia.

Als er Asteria nun nicht bekommen konnte, wandte sich Zeus Asterias Schwester Leto zu, die dasselbe empfand wie er. Sie wurde zu seiner Geliebten und schlussendlich auch schwanger mit Zwillingen.

Doch Zeus‘ eifersüchtige Gattin Hera versuchte die Geburt der Zwillinge zu verhindern, denn ihre Großmutter Gaia hatte vorhergesagt, dass die Kinder Letos größer und mächtiger werden sollten als ihre eigenen Kinder. Also schickte sie die Schlange Python, die Leto verschlingen sollte. Dies wurde aber von Zeus verhindert.

Hera ließ die Erde einen Eid schwören, dass diese Leto keinen Platz, auf den jemals das Licht der Sonne geschienen hätte, für die Geburt gewähren würde. Daraufhin ließ Poseidon, der Gott des Meeres, die winzige schwimmende Insel Delos aus den Fluten aufsteigen. Der Götterbote Hermes brachte die sich schon seit neun Tagen vor Schmerzen windende Leto auf Geheiß von Zeus hin auf diese Insel.

Leto war mittlerweile schon fast am Bersten, doch Hera setzte ihre Tochter Eileithyia, die Göttin der Geburten, so unter Druck, dass diese es nicht wagte, Leto zu helfen. Doch die anderen Götter hatten Mitleid mit Leto und kauften Uranos (dem Himmel) den Mond ab und gaben diesen Hephaistos, damit er daraus ein wunderschönes Halsband schmiedete, mit welchem sie Eileithyia bestachen, Leto zu helfen.

Als erstes wurde Artemis geboren, die Göttin der Jagd, der Jungfräulichkeit, des Waldes, der Geburt und des Mondes sowie die Hüterin der Frauen und Kinder. Sie zählt zu den zwölf großen olympischen Göttern. Damit sie ihrer Mutter bei der Geburt ihres Zwillingsbruders Apollo helfen konnte, wurde sie sofort nach der Geburt zur Erwachsenen. Dieses Erlebnis und die Schmerzen ihrer Mutter, die sie so hautnah miterlebte, beeindruckten Artemis so stark, dass sie sich entschloss, ihr Leben als Jungfrau zu verbringen.

Apollon, der Zweitgeborene, ist in erster Linie Gott des Lichts, aber auch Gott des Frühlings, der Heilung, der Mäßigung, der Weissagung und Gott der Künste wie des Gesangs, der Musik und der Dichtung. Auch die Bogenschützen huldigten ihm. Wie seine Zwillingsschwester übersprang auch Apollon das Säuglingsalter und wurde sofort zu einem Gott. Er befestigte als erstes die Insel Delos am Meeresboden und machte sie zu seiner Insel, zum geistigen Zentrum der Kykladen.

Und selbst der Stein auf der Insel spiegelt das noch heute wieder. Es gab große Vorkommen von Gestein mit Kristalleinschlüssen, das dann zum Bau der Straßen verwendet wurde. Und so leuchtet Delos im Sonnenlicht sogar messbar stärker als all seine Nachbarinseln. Was wäre passender als Geburtsort für den Gott des Lichts?

Als Apollon und Artemis erwachsen waren, rächten sie sich an den Ländern, die ihrer Mutter vor der Geburt Asyl verweigert hatten. Apollon rächte sich auch an der Schlange Python. Er fand sie am Mittelpunkt der Welt (Delphi) und tötete sie mit 1000 Pfeilen. Da Python ein Kind der Erdgöttin Gaia war, musste er Buße tun, aber durfte trotzdem am Wohnort der Schlange sein Heiligtum errichten, sodass die weissagenden Fähigkeiten Pythons auf den Ort übergingen. So entstand das Orakel von Delphi. Das Orakel von Delos war jedoch fast so berühmt wie das von Delphi und wer genug Geld hatte, der befragte beide Orakel – eines der beiden würde schon die gewünschte Antwort liefern …

Schon seit Ende des 15. Jhdts. v. Chr. besiedelten die Mykener, die die Ägäis schon sehr früh beherrschten, die Insel Delos. Das Apollo-Heiligtum gab es schon seit dem 9. Jhdt. v. Chr. und hatte seine Höhepunkte in der archaischen (7. und 6. Jhdt. v. Chr.) und der klassischen (5. und 4. Jhdt. v. Chr.) Zeit. Hellenen der ganzen antiken Welt versammelten sich auf Delos, um hier Apollo und seine Schwester Artemis anzubeten.

Irgendwann in den Jahren 540-528 v. Chr. wurde der Porostempel von Apollo auf Delos gebaut, in dem sich eine überlebensgroße Statue des Gottes befand.

478 v. Chr. wurde auf Delos nach Ende der Perserkriege der 1. Attisch-Delische Seebund geschlossen. Der Sitz des Bündnisses war auf Delos, das strategisch in der Mitte der Bündnispartner lag, und auch die Mitgliederbeiträge wurden zunächst in der Bundeskasse im Heiligtum des Apollo in Delos aufbewahrt und durch die Hellenotamiai (Schatzmeister) verwaltet. Hier wurden große Summen angespart. Auch die Bundesversammlung traf sich regelmäßig in Delos, was logistisch durchaus ein Meisterwerk war, denn die kleine Insel konnte auf keinen Fall all diese Menschen mit den lebensnotwendigen Mitteln versorgen.

Athen verschaffte sich allerdings immer mehr Einfluss im Bündnis und so wurde u.a. die Bundeskasse nach Athen verlegt. Als dann keine Angriffe der Perser mehr stattfanden, finanzierte Perikles 454 v. Chr. den Aufbau der von Feinden zerstörten Tempel der Athener Akropolis mit dem Geld des Bündnisses, was zu großen Unruhen unter den Bündnispartnern führte.

Athen setzte im Winter 426/425 v. Chr. die Katharsis von Delos durch, eine religiöse Reinheitsvorschrift. Alle Gräber auf Delos wurden geöffnet und die Gebeine und Grabbeigaben auf der unbewohnten Nachbarinsel Rheneia in einer gemeinsamen Grube wieder beigesetzt. Auch Schwangere und Kranke/Sterbende mussten Delos verlassen, damit hier weder Geburten noch Tode stattfanden. Politisch war dies ein genialer Schachzug, denn die Bewohner Delos verloren ihre Heimat. Musste zuvor Athen bangen, dass die Deler zu viel Einfluss nehmen könnten, da ihre Insel ja mit den Heiligtümern und Bundesversammlungen eine derart große Wichtigkeit hatte, so konnten nun alle Anfragen der Deler mit der Begründung abschmettert werden, dass es ja gar keine Deler gäbe, denn wer sei schon hier geboren?

Der Einfluss Athens innerhalb des Bündnisses wurde immer größer und innerhalb relativ kurzer Zeit verwandelte sich das Attisch-Delische Bündnis in eine Athener Hegemonie und die ursprünglich Verbündeten wurden zu Untertanen Athens.

Dennoch war Delos eine kosmopolitische Stadt und durch die Zollfreiheit auch ein wichtiges Handelszentrum. Es gab Zeiten (in der Hochzeit Roms), in denen Delos tatsächlich das größte Handelszentrum der Welt war.

Doch die Reichtümer, die auf der Insel lagen, und die freundschaftliche Beziehung zu Rom war auch Grund für Angriffe auf die Insel. Sie wurde zwei Mal zerstört und geplündert: 88 v. Chr. von Mithridates, König von Pontos, 69 v. Chr. vom Piraten Athenodorus, Verbündeter des Mithridates. Nach der zweiten Zerstörung nahm die Zahl der Bevölkerung der Insel rapide ab und Delos geriet in Vergessenheit. Ab dem 7. Jhdt. n. Chr. scheint es keine Ansiedlung auf Delos mehr gegeben zu haben, sie wurde nur noch Zuflucht für Piraten.

1872 wurde mit Ausgrabungen auf Delos begonnen. Leider sind die Gebäude so gut wie zerstört, denn obwohl mit den Eintrittsgeldern der Besucher große Mengen an Geld eingenommen werden, stellt der griechischen Staat noch immer relativ wenig Mittel für die Ausgrabungen und ggf. Restauration von Delos zur Verfügung, was wirklich schade ist, wenn man die Geschichte der Insel bedenkt.

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