Auf knapp 10 km Länge erstreckt sich die Vikos-Schlucht zwischen den Zagori-Dörfern Monodendri und Vikos. Die an einigen Stellen fast senkrecht abfallenden Kalksteinwände sind knapp einen Kilometer hoch. Ein wirklich atemberaubender Anblick! Die Vikos-Schlucht findet man übrigens auch im Guinness-Buch der Rekorde: Die Enge der Schlucht, also größte Tiefe zu geringster Breite, ist einzigartig und macht sie zur tiefsten Schlucht der Welt.
Allgemein ist die Region Zagória absolut wunderschön und ein Paradies für Wanderer. Immer wieder gibt es fantastische Ausblicke über die schroffen Felsen und dazwischen eifern im Moment die dunkelpink blühenden Judasbäume mit dem Weiß der Kirsch-, Apfel- und sonstigen Blüten um die Gunst des Betrachters. Ich musste wirklich aufpassen, dass ich nicht immer wieder von den schmalen und kurvenreichen Straßen abkam, weil diese wirklich wunderschönen Anblicke Susanne und mich ständig abgelenkt haben!
Ein paar Meter weiter (und höher) ist der Frühling überhaupt noch gar nicht eingekehrt und die Vegetation sieht komplett anders aus. Es wird einfach nie langweilig!
Die 48 Dörfer des Gebiets rund um den Vikos und den Fluss Voïdomatis nennt man Zagorochoria. Die Besiedlung dieser unwegsamen Berggegend ist schon seit dem 18. Jahrhundert belegt.

Erst in den 1950er Jahren wurden hier Straßen gebaut, vorher waren die Gebirgsdörfer nur durch Steinpfade, Bruchsteintreppen und -bogenbrücken verbunden. Diese gibt es noch heute und sie tragen viel zum Charme der Gegend bei.
Beim Bau wurde kein Zement oder Ähnliches zur Verbindung der Steine verwendet. Man nahm eine Mischung aus Eiweiß, Sand aus dem Fluss und Pferdehaar (manchmal auch Schafswolle) und füllte damit die Hohlräume aus. Diese Masse war nicht dazu gedacht, hier eine Verbindung herzustellen, denn die Brücken sind selbsttragend gebaut. Nein, sie verhinderte, dass sich Pflanzen zwischen den Steinen einnisten und dann mit ihren Wurzeln die einzelnen Steine sprengen konnten. Tatsächlich wurde die Größe einer Brücke auch daran gemessen, wie viele Eier man zu deren Bau benötigte! Das Eiweiß hatte zudem noch eine andere Funktion, weshalb man auch die Wände von Zisternen damit bestrich: Nachdem es hart geworden war, bildete es eine wasserundurchlässige Schicht, die verhinderte, dass das Wasser der Zisternen, die ja auch aus einzelnen Steinen gebaut wurden, ins umgebende Erdreich entweichen konnte.
Nur um euch einen kleinen Einblick zu geben, hier noch ein paar Bilder der Brücken. Die Brücke auf dem ersten Bild ist übrigens 55 Meter hoch. Kaum zu fassen, oder?



Oben: Die Plakidas-Kalogeriko-Brücke über den Voïdomatis in der Nähe des Dorfes Kipi. Die Brücken tragen immer zwei Namen: den Namen des Ortes, an dem sie stehen, und den Namen jener Person, die ihren Bau finanziert hat. Normalweise waren es reiche Bürger, im Fall der Plakidas-Kalogeriko-Brücke aber nicht. Καλόγερος („Kalogeros“) heißt „Mönch“ – der Sponsor der Brücke war nämlich der Prior des nahe gelegenen Klosters Profitis Elias in Vitsa. In der Gegend um Kipi gab es viele Mühlen, daher war hier eine Brücke besonders interessant. Doch normalerweise würde man eine Brücke an einer schmalen Flussstelle bauen, um Kosten zu sparen und Risiken zu minimieren. Stellen hierfür hätte es genügend gegeben, warum also eine Brücke mit drei Bögen hier an einer breiten Stelle bauen? Ganz einfach: auch die Größe der gesponsorten Brücke war ein Statussymbol!


Übrigens haben selbst die schmalsten Brücken kein Geländer, sondern entweder nur eine (extrem niedrige) Begrenzung oder (in den meisten Fällen) seitlich immer wieder nach oben ragende Steine. Diese waren eine psychologische Hilfe beim Überqueren der Brücke.
Die Brücken wurden, ähnlich der Kuppelgewölbe mancher unserer Kirchen, von beiden Seiten her gleichzeitig von unten nach oben gebaut. Während der Bauzeit wurden sie durch eine Holzkonstruktion unterstützt. Am Ende setzte man den oberen, tortenförmigen Stein ein (oben im Bild gut zu sehen) und hoffte, dass die Brücken nach dem Entfernen der Holzkonstruktion halten und nicht einstürzten würden. So entstand auch der Aberglaube, der Einsturz von Brücken würde durch böse Geister oder Ähnliches veranlasst werden. Der Legende nach wurde hier auch die eine oder andere Jungfrau geopfert, um die Götter milde zu stimmen. Beim Bau der Brücke von Arta mit ihren vier Bögen heißt es, die Ehefrau des Baumeisters sei mit in die Fundamente eingemauert worden, damit die Brücke standfest blieb. Angeblich seinen bis zur Opferung der jungen Frau immer wieder Teile der Brücke eingestürzt, danach sei aber alles dort geblieben, wo es sollte.
Noch eine interessante Sache beim Brückenbau: hier wurden oft sogenannte „Entlastungsfenster“ eingebaut (man sieht auch dies im Brückenpfeiler oben). Wenn die Flüsse viel Wasser trugen, wurde die Kraft, die auf die Brückenpfeiler wirkte, oft extrem groß. Um dem entgegenzuwirken, wurden kleine Fenster eingebaut, durch die das Wasser fließen konnte.

Nur zwei Gehminuten von dieser alten Gewölbebrücke entfernt, der Alten Steinbrücke von Klidonia, haben wir übernachtet. Bemerkenswert ist hier, dass komplette Reihen von senkrecht stehenden Steinen die Begrenzung bilden und nicht nur immer vereinzelt ein Stein aufragt. Das Wehr an der Brücke bildet übrigens auch die Grenze zum Vikos-Aoos-Nationalpark. Auch zu dieser Brücke gibt es eine Geschichte. Die heutige Brücke wurde 1853 gebaut, doch zuvor stand hier schon eine Brücke aus der byzantinischen Zeit. Zwei reiche Familien, die in ständiger Rivalität standen, kämpften hier im 16. Jhd. um die Ehre: Die Tochter der Gerenis Familie sollte in die Stamatis Familie heiraten, doch der Vater des Bräutigams wollte das verhindern. Als die Braut mit ihrer Familie über die Brücke kam, griff er mit ein paar Unterstützern die Verwandtschaft in spe an und tötete Gerenis, dessen Frau und zwei seiner Neffen. Diese Vendetta wurde nie vergessen, was zur Folge hatte, dass die Bewohner das Dorf nach und nach verließen.
Aber jetzt zum Stellplatz: Hier im Bild auf der rechten Seite der Brücke ist eine kleine Lichtung, die in einer App als Übernachtungsparkplatz ausgewiesen ist, obwohl im Nationalpark und eigentlich nicht erlaubt. Trotzdem stehen hier oft Camper. Geht man allerdings über die Brücke, am Informationszentrum des Nationalparks und einem Feld vorbei, steht man vor einem privaten Stellplatz, der gerade mit viel Liebe von einer Familie aufgebaut wird. Es gibt schon Duschen, WCs, Strom, Wasser, V+E und als Susanne uns anmeldete, erzählte ihr die Frau des Betreibers, wenn sie die Küche benutzen wolle, dann sei sie wahrscheinlich die erste Person, die das täte. Die Stellplätze sind ausreichend groß und es sind Bäume gepflanzt, die allerdings erst noch eine Weile wachsen müssen, bevor sie wirklich Schatten werfen können. Es gibt zwar keinen Shop, aber wenn man etwas benötigt, bringt es einem der Betreiber bei seiner nächsten Fahrt ins 16 km entfernte Konitsa mit (er fährt mindestens einmal pro Tag hin). Susanne hat für uns 10 Euro pro Nacht gezahlt, alles inbegriffen. Sauber, günstig, gut gelegen, nett, was will man mehr?

Ich musste auch ganz schön aufpassen, fast hätte ich noch eine zusätzliche Bewohnerin bekommen! Da lief diese Straßenhündin herum, die Max und Susanne schon an der Brücke getroffen hatten. Abends sind die beiden dann nochmal zum letzten Pipi raus und plötzlich stand sie einfach da im Halbdunkel und schaute sie nur mit ihren großen Augen an. Und was ganz besonders erstaunlich ist: Max geht ja normalerweise bei jedem Hund immer gleich hoch, aber sie stand da zwei Meter neben ihm und er tat absolut gar nichts!
Jedenfalls hat Susanne dann Max rein gebracht und ist nochmal raus zum Rauchen. Die Hündin kam hinter mir hervor, legte sich drei Meter von Susanne entfernt hin und die Augen wurden noch größer. Natürlich konnte Susanne da gar nicht anders, ging rein und brachte ihr ein wenig Futter. Als sie damit auf die Hündin zuging, wedelte diese schon zaghaft mit dem Schwanz. Futter war dann aber sehr schnell weg und jeder Krümel aufgesaugt!
Gestern haben wir sie nicht gesehen, aber heute früh war sie dann wieder da. Wieder gab es ein klein wenig Futter, das wieder sehr dankbar angenommen wurde. Die Hündin kam danach sogar langsam auf Susanne zu, nur die machte den Fehler, sie direkt anzusehen und so schaute die Kleine weg, drehte um, legte sich wieder drei Meter entfernt hin und schaute nur mit großen Augen.
Susanne hat ganz arg geschluckt und ich musste ihr immer wieder erklären, dass der Hund a) ganz sicher weder geimpft ist noch Tollwuttiter hat und wir b) auch definitiv keinen zweiten Hund wollen! Aber manchmal ist das schon sehr schwierig, wenn man die Straßenhunde sieht. Auch, wenn diese gut genährt scheinen! Heute ist auch ein Hund auf drei Beinen vor uns über die Straße gehumpelt, da möchte man wirklich anhalten und helfen, aber das geht halt leider nicht immer und oftmals wären die Hunde darüber sicherlich auch nicht glücklich!

Aber zurück zum Zagória-Gebiet: Es ist wirklich wunderschön mit seinen auf wenigen Kilometern wechselnden Landschaften und schroffen, steilen Felsen. Ein wahres Eldorado für Wanderer! Es gibt so viele wunderschöne Wanderwege, dass man hier lässig vier Wochen Wanderurlaub machen könnte.
Einer der bekanntesten Wanderwege ist sicherlich der durch die Vikos-Schlucht. Der Vikos ist kein normaler Fluss, der von einer Quelle gespeist wird, sondern er bekommt sein Wasser von den umliegenden Kalksteinfelsen, die Wasser speichern, und aus dem Untergrund. So gibt es ganzjährig Abschnitte, die Wasser führen, und welche, die trocken liegen. Wirklich interessant. Später mündet der Vikos dann in den Voïdomatis, der immer Wasser führt.

Will man die Vikos-Schlucht zu Fuß durchqueren, beginnt man normalerweise im Dorf Monodentri und wandert dann fast 13 km zum Dorf Vikos. Dabei geht es 825 m bergab, aber auch 1138 m bergauf, alles über extrem felsiges und steiniges Gelände, was absolut nicht vergleichbar ist mit einer Wanderung im Schwarzwald! Der Marsch geht mit seinem teilweise starken Gefälle und dem harten, steinigen Untergrund definitiv auf die Knie! Andererseits ist es aber auch wunderschön!
Man kann auch vom Dorf Vikos aus in die Schlucht einsteigen und hier nur entweder bis ganz nach unten zu einer Badestelle oder bis zu einer Kapelle mit tollem Ausblick wandern. Dieser Abschnitt wird allerdings auch als schwer eingestuft.
Auf dem Bild hier seht ihr übrigens den Einstieg bzw. Ausstieg zur Schlucht am Dorf Vikos.

In Vikos selbst gibt es auch einen Aussichtspunkt, von dem aus man das Ende der Schlucht sehen kann.
Vom Oxia-Aussichstpunkt sieht man den Anfang der Vikos-Schlucht:

Und dazwischen immer wieder wunderschöne Stellen und Ausblicke.


Aber es gibt natürlich nicht nur Felsen, sondern auch immer wieder wunderschönes, klares, türkisfarbenes Wasser, das man sogar trinken kann. Wobei einheimische Wanderer sich eher aus einer der vielen Quellen bedienen.


Auch die Rock-Pools bei Papigo sind beeindruckend: Hier wird das Wasser in mehreren natürlichen Becken immer wieder angestaut und bildet so Pools mit Wänden der Natur. Ganz hinten auf dem Bild könnt ihr ein paar Menschen beim Baden sehen. Absolut wunderschön, aber im Sommer (natürlich) auch gerammelt voll!

Eine andere wunderschöne Wanderung ist durch den Felsenwald, der beim Oxia-Aussichtspunkt beginnt. Man läuft hier über mehrere Kilometer durch absolut bizarre Felsformationen. Besonders schön, wurde uns gesagt, wäre die Wanderung im Herbst, wenn die Bäume sich bunt färben.


Und dann gibt es natürlich noch die wunderschönen, malerischen 48 Dörfer der Zagória. Wir konnten leider nicht alle besuchen, aber in ein paar davon haben wir Halt gemacht und durch andere sind wir gefahren. Absolut schön!
Aber leider gibt es auch hierzu eine traurige Geschichte. Obwohl die Gegend so schwer zugänglich war, litten auch diese Dörfer im 2. Weltkrieg, ein paar davon sogar sehr: Sie wurden von die deutschen Truppen zur Abschreckung niedergebrannt. Man nennt diese Dörfer Μαρτυρικά χωρια („Martyrika Choria“ = Märtyrer Dörfer) und erkennt sie an den roten Ziegeldächern, denn nach dem Wiederaufbau wurden sie nicht, wie die anderen Dörfer der Gegend, mit Schiefer gedeckt, sondern mit Ziegeln.
Aber lasst euch davon nicht abhalten, die Dörfer der Zagória zu besuchen, sie sind es absolut wert!



Ich kann euch hier nur einen kleinen Ausschnitt zeigen, also fahrt hin und macht euch selbst ein Bild von der wunderschönen Gegend, den malerischen Dörfern und glasklaren Flüssen!
Eines kann ich euch aber noch verraten: Ich glaube, Susanne hat sich in diese Gegend verliebt, denn ich habe sie fast nicht mehr von hier weg bekommen!
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